Geschichten von „Little Bird #35“
Es ist der erste richtig warme Frühlingstag des Jahres. Die Nachmittagssonne spiegelt sich in dem Bürogebäude auf der anderen Straßenseite und lässt es golden leuchten. Die Aufträge sind für den Tag gestoppt und ich sitze mit meinem Fahrrad vor dem Nest (unserem Büro) auf dem Parkplatz. Einige meiner männlichen Kollegen haben sich versammelt, um mir, der Kurierin, beim Wechseln der Bremsbeläge und Reinigen ihres Fahrrads zuzusehen. Es muss für sie sehr interessant sein zu sehen, dass jemand mit Brüsten das Gleiche tun kann wie sie.
In der Auftragszentrale diskutieren der zweiköpfige „Borracho“ und „La Misa“ lautstark darüber, wie man das Unternehmen zum Wachsen bringen kann. Um uns eines Tages wirklich ordentlich bezahlen zu können? Nein. Ich glaube, es ist nur ihr Fetisch ständig über die Arbeit zu reden. Aber wenn man liebt, was man tut, warum sollte man dann über etwas anderes reden?
„El Niño“ stürmt mit neuen Ideen in den Raum. Von der sonnigen Außenwelt aus höre ich sie alle drei über neue Kund*innen, Expansion und goldene Kombinationen (wenn Aufträge in besonders schönen Abfolgen geliefert werden können) erzählen. „The District Officer“ kommt aus der „Cave", unserem großen unterirdischen Lager und balanciert für Normalsterbliche viel zu viele Weinkisten, aber für sie ist es ein ganz normaler Arbeitstag. Sie unterbricht die hitzige Debatte in der Dispo mit einem gezielten Witz, und die Diskussion wandert hinaus zu uns in den Sonnenschein, die Körper folgen ihr.
Mein Fahrrad ist einigermaßen sauber und ich habe wieder funktionierende Bremsen. Ich wische mir das Fett von den Händen und geselle mich mit einem kalten Bier in der Hand zu meinen Kollegen auf dem Asphalt. Wir blicken auf das Gebäude gegenüber und haben die Sonne im Blick. Ich liebe diese Arbeit. Ich liebe meine Kolleginnen und Kollegen. Ich liebe unsere Fahrräder und die Freiheit der Straße. Ein ganz normaler Tag in unserem Fahrradkurier *innenkollektiv - eine Symphonie aus Fett, Stahl und Leidenschaft.
„Little Bird 35“ ist Teil des arbeiter*innengeführten Fahrradkollektivs Crow, das sich zum Ziel gesetzt hat, Autos durch Fahrräder zu ersetzen. Und zwar durch Lastenradtransporte und Fahrradreparaturen, für eine bessere Lebensqualität für alle und ohne Chefs. Bei Crow haben die Menschen ständig wechselnde Spitznamen (aber gleichbleibende Nummern), die in dieser Kolumne verwendet werden. Es liegt an euch, uns kennenzulernen und zu erraten, wer wer ist.
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