Dispogeschichten von La Misa #26
Y., eine sehr nette, aber etwas verwirrte Kundin, möchte ein Paket von München nach Stuttgart schicken. Zu Recht wendet sie sich daher an einen in Berlin tätigen Fahrradkurierdienst. Kein Problem, vom Büro aus kontaktieren wir R., einen anderen städtischen Kurierdienst, der wiederum mit S., einem europaweiten Expressdienst, zusammenarbeitet, der den Transport bestätigt. Ein paar Minuten später klingelt das Telefon, es ist Y. - sie hat vergessen anzugeben, dass das Paket erst ab 17:00 Uhr abgeholt werden kann. Kein Problem, ich rufe R. an, der ruft S. zurück und alles ist wieder in Ordnung.
Es ist 14 Uhr und diesmal ist es eine E-Mail von Y., die das kosmische Gleichgewicht stört. Das Paket liegt in einer Bar in München, aber es wird erst ab 17:30 Uhr jemand da sein. So kurzfristig ist es schwierig, die Abholung zu organisieren, aber ich werde es versuchen, sage ich Y. Dann ruft R. noch S. an. R. ruft zurück, kein Glück. Ich schreibe an Y. - keine Antwort. Ich rufe Y. an, die, ein neues Überraschungselement, gerade einen Flug besteigt und daher bald nicht mehr auf dem Radar ist. Sie sagt, ich solle B. kontaktieren. "Wer ist B.?" "Der Barchef in München". "Ah!" “Ich schicke Ihnen die Nummer per E-Mail".
Ich rufe B. an, der unter keinen Umständen um 17 Uhr in der Bar sein kann. Nein, niemand sonst habe die Schlüssel. "Gib dem Kurier meine Nummer" "Das ändert aber nichts daran, dass er um 17:10 Uhr da sein könnte", antworte ich. "Du gibst ihm einfach meine Nummer". Dann rufe ich R. an, damit er die Nummer von B. an S. weitergibt. Jetzt müssen wir nur noch warten und die Daumen drücken.
Und hier denke ich darüber nach, wie seltsam es ist, wie viel Aufmerksamkeit eine Handvoll Menschen einem einzelnen Paket schenken kann, das sie größtenteils nie sehen, nie anfassen und dessen Inhalt sie vor allem für immer ignorieren werden. Der Gedanke ist nur von kurzer Dauer. Es ist 18 Uhr und Feierabend. Die Anrufe von B. gegen 19 Uhr bleiben unbeantwortet und werden nur denjenigen von uns Sorgen bereiten, die als Erste am Morgen die Nachrichten kontrollieren. Doch kurz nach begonnenem Tag und entsprechendem anfänglichen Kopfzerbrechen die Benachrichtigung: das Paket ist um 09:25 Uhr zugestellt worden.
Der Berliner Fahrradkurier „La Misa #26" ist Teil des arbeiter*innengeführten Fahrradkollektivs Crow, das sich zum Ziel gesetzt hat, Autos durch Fahrräder zu ersetzen. Und zwar durch Lastenradtransporte und Fahrradreparaturen, für eine bessere Lebensqualität für alle und ohne Chefs.
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